SEE THE PATTERN

Maria Schmidt

2025 häkle ich einen Schal.

Statistisch gesehen leben in Österreich mehr Frauen als Männer. In Europa sieht es ähnlich aus. Das ergibt sich durch ihre höhere Lebenserwartung. Doch spielen Frauen dadurch eine größere Rolle in unserer Gesellschaft? Als aufgeklärte, moderne Frau bin ich nicht nur in dem Selbstbewusstsein aufgewachsen, dass wir in einer gleichberechtigten Gesellschaft leben, ich erziehe auch meine Kinder in diesem Sinne.

Kurzer Sidestep

... vor knapp drei Jahren ist in der Nacht ein geistig gestörter Mann bei uns ins Haus eingebrochen und hat mit einem Messer auf mich eingestochen, während ich versucht habe, die Kinder vor ihm zu schützen. Mein Mann war auf Geschäftsreise und nicht zu Hause. Wir alle haben nur mit Glück überlebt. Mich hat eine Notoperation gerettet. Nach diesem Ereignis habe ich die ersten Tage und Nächte damit verbracht, Nachrichten zu lesen - Nachrichten bis möglichst auf die Bezirksebene runter, den Polizeifunk auf Twitter, die Blätter zu denen ich früher nie gegriffen hätte. Denn ich wollte lesen, ob irgendwo etwas passiert, vor dem wir uns in Sicherheit bringen müssen. Ich dachte, wenn ich jede Gefahr kenne, können wir uns besser davor schützen. Natürlich hatte das den gegenteiligen Effekt. Ich war vor Angst ständig gelähmt und war nicht in der Lage, einen Genesungsprozess zu starten.

Es war ein mühsames Learning, dass ich die Probleme der Welt gerade nicht verarbeiten kann. Ich konnte keine Nachrichten hören und schon gar nicht sehen. Alle Überfälle, Messerstechereien und generell die meisten Nachrichten der Chronik haben mich erstarren lassen. Erzählungen über Krieg und Massaker und Elend und Leid haben mich in meinem Genesungsprozesses nicht vorwärts kommen lassen. Ich musste einen Weg finden, all dem zu entgehen, was als offener und interessierter Mensch eigentlich kaum möglich ist. Ich hatte auch das Gefühl, dass ich beim Wegschauen mich selbst belüge, denn nur weil ich es nicht sehe und lese, heißt es nicht, dass es nicht doch passiert. Aber es war damals und ist auch heute noch zum Teil zu viel. Zu viel, um es zu verarbeiten, zu viel um die Ohnmacht zu vergessen, die man empfindet, wenn auf einen eingestochen wird.

Mit meiner Therapeutin habe ich eine Lösung erarbeitet, die es mir ermöglichte, das Allerwichtigste von der Welt und Österreich zu erfahren, ohne zu den Details zu kommen, die mich lähmten. Die Lösung war auf ORF.at nur den obersten Bereich zu lesen - und zwar nur die Überschriften. Wenn mich etwas interessiert hat und safe war, konnte ich in die Tiefe gehen. Was definitiv verboten war, war das Runterscrollen zu den Kriegen und zur Chronik.

Auf ORF.at sieht man im oberen Bereich zwischen 6 und 8 Informationen. Manche sind große Aufmacher, andere halbgroße Kästchen. Mit diesen 6-8 Infos mehrmals am Tag habe ich die letzten 3 Jahre verbracht. Eine Sache ist mir dabei immer und immer wieder aufgefallen - die vielen Männer. Männer, die die Weltpolitik dominieren, Männer, welche die österreichische Politik beherrschen und Unternehmer, die leitende Unternehmen führen. Frauen kommen da seltener vor. In der kalten Jahreszeit sieht man ab und an Skiläuferinnen. Gelegentlich auch Schauspielerinnen. Meistens sind Frauen aber „Lückenfüller“ mittels Stockbilder, wenn es um allgemeine Themen geht.

Jetzt schließe ich den Kreis zum ersten Absatz: als aufgeklärte, gleichberechtigte Frau, hat mich dieser Anblick Tag für Tag doch verwundert. Natürlich weiß man und weiß ich, dass die Gleichberechtigung nicht so weit ist - Femizide und Frauenmorde, Genderpay Gap, #MeToo ... das sind natürlich Realitäten des Alltags. Aber ich muss zugeben, ich dachte Österreich sei beim Thema Gleichberechtigung weiter. Ich dachte, dass mich mein Gefühl vielleicht täuscht und Frauen in meinen 6-8 wichtigsten Nachrichten aus der Welt und Österreich doch nicht so unterrepräsentiert sind, wie es auf den ersten Blick scheint.

Und so beschloss ich, die Fragestellung quantitativ zu erfassen. Statt einer simplen Liste habe ich zu dem Mittel gegriffen, das mir beim Besserwerden die letzten Jahre massiv geholfen hat - die Handarbeit. Etwas, wo man volle Konzentration und Aufmerksamkeit auf ein Stück Wolle hat, Maschen zählen muss und sich im positivsten Sinn von der Welt abschotten kann.

Und so war die Idee für das Kunstprojekt geboren: Die Sichtbarkeit von Frauen zu zeigen, anhand des obersten und wichtigsten Bereichs von ORF.at - the daily pattern.

Nachdem ich nun die ersten 6 Wochen meiner quantitativen Überprüfung nun schon erledigt habe, möchte ich gerne das Projekt mit euch teilen.

SEE THE PATTERN

2025 häkle ich einen Schal.
Jeden Tag eine Reihe. Jede Reihe mit einer bestimmten Farbe, welche sich aus der Anzahl der Frauen und Männer ergibt, die im obersten Bereich von ORF.at sichtbar sind.
Konkret geht das so: jeden Tag um genau 10:00 Uhr wird automatisch ein Screenshot vom oberen Bereich von ORF.at gemacht. Ich zähle die Frauen und Männer, die sichtbar sind, bzw. sehe ich es auch im Kontext mit der dazugehörigen Überschrift. Diese Anzahl wird in eine Zahl übersetzt, die wiederum einer bestimmten Farbe entspricht. Je niedriger die Zahl, desto mehr Männer und desto dunkler die Farbe. Je mehr Frauen, desto höher die Zahl und heller die Farbe.

Der Schal

Farbcodes

  1. (schwarz): ausschließlich Männer
  2. (dunkelblau): nur Männer und eine Frau
  3. (dunkelviolett): Männer und Frauen gemischt, aber mehr Männer
  4. (hellviolett): Männer und Frauen ausgeglichen
  5. (rosa): Männer und Frauen gemischt, aber mehr Frauen
  6. (flieder): nur Frauen und ein Mann
  7. (weiß): ausschließlich Frauen

Ich habe sehr lange überlegt, ob ich nur jene Personen in die Statistik einbeziehe, die man mit Namen kennt, sprich Stockbilder ignoriere. Da es aber um die Sichtbarkeit geht, habe ich beschlossen, alle vorkommenden Gesichter zu zählen - unabhängig, ob es echte Personen oder Personen in Stockbildern sind. Auch die Frage, ob Menschen auf Kunstgegenständen, aus Filmen, aus Computerspielen etc. dazugezählt werden, habe ich positiv für mich beantwortet - alle, die zu sehen sind, werden erfasst.

Ich habe auch lange über die Frage nachgedacht, was ich am Ende des Projektes wissen werde, bzw. welche Konsequenzen daraus folgen sollten. Vordergründig geht es mir darum, zu beurteilen, ob es tatsächlich eine Unterrepräsentation von Frauen gibt. Ich finde, das ist wichtig zu wissen, damit wir uns als Gesellschaft nicht selbst belügen. Vor allem sollten wir Frauen uns nicht selbst belügen, dass der Weg zur Gleichberechtigung bereits getan ist. Es geht mir dabei keinesfalls um Schuldzuweisungen. Eher um einen Ansporn an sich selbst, jede Möglichkeit wahrzunehmen, als Frau eine Rolle zu spielen - Zusagen zu Podiumsdiskussionen, Zusagen zu beruflichen Verbesserungen, Zusagen Expertinnenrollen zu übernehmen und immer zu wissen, dass wir den Boden für künftige Generationen aufbereiten. So wie es Frauen vor uns getan haben, die für unsere Frauenrechte gekämpft haben. Nicht zwingend aus einer feministischen Sicht, sondern aus dem Selbstverständnis heraus, dass wir den größeren Teil der Gesellschaft ausmachen. Jedenfalls in Österreich.

PS: Funfact, oder auch nicht so Fun. Die Kronenzeitung hat mich bei der Berichterstattung über unseren Überfall in der Überschrift als "Manager-Ehefrau“ bezeichnet. Nevermind, dass ich zwei Studien abgeschlossen habe und seit dem Studium - trotz zweier Kinder - immer Vollzeit gearbeitet habe. Nevermind, dass mein Mann in der Nacht nicht mal anwesend war. Nevermind, dass die Frau unabhängig von ihrem Mann erwähnenswert ist.

Das habe ich weiter oben im Text ausgeführt. Zwei Gründe möchte ich hinzufügen: Einerseits scheint mir der ORF als öffentlich-rechtliches Medienunternehmen für mein Projekt am ehesten repräsentativ - ohne starken Bias und mit thematisch breiter Berichterstattung. Andererseits ist die sogenannte blaue Seite simpel aufgebaut und erlaubt eine schnelle Beurteilung. Mir geht es nicht darum, den ORF vorzuführen.

Täglich um 10.00 Uhr generiert ein Tool einen Screenshot der Startseite ORF.at. Meistens Abends sehe ich mir den oberen Bereich der Website an, das sogenannte Grid. Die Bilder weiter unten (Video-Ankündigungen) ziehe ich nicht in Betracht. Warum habe ich weiter oben ausgeführt.

Nein. Die Auswertung erfolgt durch präzises Augenmaß und ist natürlich sehr subjektiv. Auch ist es nicht immer ganz einfach, eine Unterscheidung zu treffen.

Das weiß ich noch nicht. Teilt gerne auf Insta eure Ideen mit mir.

Ja natürlich. Im Sinne einer konstruktiv-kritischen Frau, die beobachtet, dass unsere Gesellschaft bei weitem noch nicht dort angekommen ist, wo sie behauptet zu sein. Es geht eben nicht nur um vordergründige rechtliche Gleichstellung, sondern eben auch um kulturelle und soziale Aspekte wie Wahrnehmung.

Gerne, bzw. vielleicht ;-) Melde dich doch einfach per DM. Oder schau in meinem Shop für Meerestiere vorbei, der ist mein ganzer Stolz: feelis.at